Spielbücher, alternative Enden und nicht lineare Geschichten

Es war spät abends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schlossberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloss an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die scheinbare Leere empor.

(Anfang von Franz Kafkas „Das Schloss“)

Soll K. sich ein Nachtlager suchen? Dann lies weiter auf Seite 11.

Soll K. gleich in der Dunkelheit zum Schloss gehen? Lies weiter auf Seite 42.

So ähnlich funktionieren alle Spielbücher, eine Vorform der Fantasy-Rollenspiele, die ich als Jugendlicher sehr geliebt habe und noch bis heute schätze. Die Geschichte wird dabei nicht linear erzählt, sondern der Leser entscheidet, wie es mit der Hauptfigur weitergeht, indem er zu verschiedenen Seiten des Buches springt (hier ein populäres Beispiel).

In der Schule habe ich in meinem Deutschunterricht solche nicht linearen Erzählweisen genutzt, um Alternative Enden zu einer Geschichte zu erfinden. Die Lernenden bekamen den Auftrag, nicht nur ein alternatives Ende zu einer Geschichte zu schreiben, sondern als Gruppe sich mehrere Stationen zu überlegen, wie es weitergehen könnte. Das macht allen Spaß, erzwingt ein Hineinversetzen in die Erzählung, benötigt Kreativität und viel Kommunikation und Zusammenarbeit in der Gruppe.

Softwaremöglichkeit 1: Twine

Eine technische Hilfe, Spielbücher zu schreiben bietet die Software Twine, sie ist verfügbar für Windows, macOS, Linux und kann auch lokal im Browser genutzt werden. D.h. dass man den Browser benutzt, die Geschichte zu schreiben und zu strukturieren, ohne weiter online sein zu müssen. Die Browser-Variante läuft auch auf Safari auf den iPads, sodass ich mit meiner damaligen iPad-Klasse ohne Download und Installation loslegen konnte. Twine ist enorm vielseitig, standardmäßig erstellt man eine schwarze Textseite, auf die man Bilder und Links packt, über die man zu den einzelnen Erzählfragmenten gelangt.

Screenshot des Endproduktes der Twine-Geschichte

Die Stärke der Software ist dabei die Übersichtlichkeit, denn nach wenigen Abzweigungen verliert man schnell die Übersicht, was die Hauptfigur alles machen kann und gemacht hat. In Twine wird jedes Erzählfragment als kleiner Kasten dargestellt und die Verknüpfungen als Linie, wie in einem Fluss-Diagramm.

Screenshot der Übersicht in Twine

Leider ist die Software nicht darauf ausgelegt, dass Kleingruppen kollaborativ an einer Geschichte schreiben, d.h. eine naheliegende Aufteilung in verschiedene Erzählstränge und anschließendes Zusammenfügen ist schwierig.

Auch das Endprodukt von Twine ist auf dem iPad schwierig zu handeln, es ist eine HTML-Datei. Diese kann theoretisch mit jedem Browser gespielt werden kann, leider ist jedoch das Abspeichern und die Weitergabe einer HTML-Datei mit dem iPad nicht trivial.

Softwaremöglichkeit 2: Pages

Eine auf dem iPad in meinen Augen bessere Alternative ist wieder einmal Pages. Hier gibt es Vorlagen für Bücher, die man bearbeiten, speichern, weitergeben und zusammenfügen kann. Alles was man braucht, ist das Wissen, wie man in Pages Objekte mit einem Link versieht, um zu bestimmten Seiten zu springen. Hier eine kurze Anleitung.

Mit Pages könnte ein Workflow in der Klasse mit iPads wie folgt aussehen:

  1. Die Lehrkraft erstellt eine Buchvorlage in Pages
  2. Sie nutzt AirPlay, um ihr Vorhaben zu erläutern und teilt in einem Unterrichtsgespräch Gruppen ein, die verschiedene Wendungen der Geschichte verfolgen.
  3. Sie zeigt, wie man in Pages Objekte hinzufügt und diese mit einem Link zu einer Seite versieht.
  4. Sie teilt die Vorlage per AirDrop an die Lernenden aus.
  5. Die Gruppen schreiben die Geschichte gemäß ihren Vorgaben weiter. Am Ende der Gruppenarbeit schicken sie ihr Ergebnis per AirDrop an die Lehrkraft oder eine Schülerin / einen Schüler, der sich bereiterklärt, aus den verschiedenen Pages-Dokumenten wieder ein einziges zu machen, indem er die Seiten der Gruppe markiert, kopiert und in ein zentrales Dokument einfügt.
  6. Die fertige Geschichte wird als EPUB Datei exportiert und kann auf jedem Smartphone, iPad oder E-Book Reader gelesen werden.
  7. Wenn die Geschichte richtig gut geworden ist und auch auf Rechtschreibung geprüft wurde, wäre es sogar denkbar, das Buch auf Apple Books zu veröffentlichen.

Die folgende Beispiel-Datei habe ich im Laufe eines Vormittags erstellt.

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